Amarque / Markert (Hg.): Was ist Liebe?
Untertitel: Eine integrale Anthropologie über die Facetten der Liebe
Das Buch als „integrale Anthologie“ von 14 Autor(inn)en ist nicht romantisch (das Wunder des Verliebtseins ist kein Thema), es ist nicht geil (Wunder und Verwirrung der Sexualität ist kein Thema), es ist nicht politisch (Patriarchat und Geschlechterkrieg ist kein Thema), das Buch ist philosophisch, wie es Männer zuwege bringen, wenn sie über Liebe philosophieren. Halt! Unter den 14 Autoren sind zwei Frauen dabei (Elvira Greiner und Christina Kessler), deren Beiträge noch am ehesten das Herz berühren. Ja, das Buch hat etwas von dieser „blutleeren Abstraktion der Philosophie“. Es ist in einer sehr konzeptionellen Sprache formuliert.
Mich hat auch der Beitrag von Papst Benedikt „Deus Caritas est“ über die Liebe Gottes verblüfft und ist sehr lesenswert! – Auch sehr nachdenkenswert, wenn der ehemalige „Chefinquisitor“ der katholischen Kirche über die göttliche Liebe philosophiert … Es sind die Größen integraler Spiritualität vertreten: Ken Wilber, Andrew Cohen und Genpo Merzel Roshi – Michael Habecker und Tom Amarque nicht zu vergessen.
Einige „Perlen der Liebe“ aus dem Buch
(nicht alle Autoren zitiert):
Erich Fromm:
Welches sind die notwendigen Schritte, um die Kunst (des Liebens – JS) zu erlernen? Man kann den Lernprozess in zwei Teile aufteilen: Man muss einerseits die Theorie und andererseits die Praxis beherrschen. … Aber abgesehen von Theorie und Praxis muss noch ein dritter Faktor gegeben sein, wenn wir Meister in einer Kunst werden wollen: Die Meisterschaft in dieser Kunst muss uns mehr als alles andere am Herzen liegen; nichts auf der Welt darf uns wichiger sein als diese Kunst. (S. 12 f.)
Papst Benedikt XVI.:
Ja, es gibt Vereinigung des Menschen mit Gott – der Urtraum des Menschen mit Gott – aber diese Vereinigung ist nicht Verschmelzen, Untergehen im namenlosen Ozean des Göttlichen, sondern ist Einheit, die Liebe schafft, in der beide – Gott und Mensch – sie selbst bleiben und doch ganz eins werden. ( S. 26)
Elvira Greiner:
Gleichzeitig bin ich auch die Beschenkte: Was die Menschen, mit denen wir arbeiten, mir geben, das ist der größte Lohn, die wertvollste Motivation: Sie geben ein lebendiges Zeugnis dafür, was wirklich zählt – und das ist letztlich immer nur die Liebe. (S. 63)
Christine Kessler:
Selbst unbewegt, ist sie die große Bewegerin – Auflösung, Leerheit, Formwerdung und Form in sich und durch sich vereinend, Zustand und Prozess zugleich. Liebe ist die implizite Ordnung, die den Kosmos organisiert und erhält und gleichzeitig die Dynamik, die ihn bewegt. Sie ist der kosmische Rhythmus, den das gesamte Universum tanzt, der Rhythmus des Werdens, des Loslassens und Neu-Entstehens. Die ist Kommunikation in ihrer reinsten Form: Kommunion. (S. 107)
Deshalb glaube ich an die Liebe, und nur an die Liebe. Mehr brauche ich nicht zu glauben, denn in ihr ist alles enthalten, was dem Leben dient. Liebe ist Leben, und ich glaube an das Leben. Aus diesem Grund ist amo ergo sum eine Liebesphilosophie, eine Lebensphilosophie, eine Lebenshaltung. Mein Credo. (S. 112)
Tom Amarque:
Die Frage Was ist Liebe? ist wahrscheinlich die wichtigste unterscheidbare Frage, die es überhaupt gibt. … Mit jedem Versuch, eine Antwort auf die Frage Was ist Liebe? zu finden, gehen wir einen Schritt auf uns selbst zu und erkennen uns ein klein wenig mehr. Und doch werden wir diese Frage niemals endgültig beantworten können. (S. 150)
Ich liebe dann, wenn ich mich selbst für jemanden verändere, um mehr leben und zum Wohle des anderen handeln zu können. Ich liebe dann, wenn ich in bestimmten Situationen, in denen ich dazu neige, nicht mehr zu lieben, meine inneren Prozesse unterbreche, neu ausrichte und mehr liebe. Und ich möchte diese Neigung, den Prozess des Liebens zu unterbrechen, nun „Ego“ nennen. … Und es wird mehr als ersichtlich, dass der eigene Tod, nämlich meines Egos, zum Referenzwert für die tatsächliche Liebe wird. (S. 158)
Hardy Fürch:
Denn eigentlich ist es nicht möglich, über Liebe zu schreiben, schon gar nicht über die Liebe – es sei denn, man ist Dichter. (S. 162)
Integrale Liebe, die die spirituelle Dimension mit umfasst, wird so von der Liebe zur LIEBE. Das bedeutet für mich darüber hinaus auch, dass eine spirituelle Liebe zwischen Menschen immer den transpersonalen Kern des Menschen meint. Dass sich Seele mit Seele, Atman mit Atman verbindet. (S. 170)
Wie es aussieht, kommen wir auf dem so genannten spirituellen Weg nicht um eine ganz normale, vollständige Individuation herum. Ein „gesundes Ego“ ist zwar immer auch ein Hindernis, weil es zu Kontraktionen und Selbstbezogenheit neigt, aber gleichzeitig ist es die sicherste Basis für weiteres Wachstum. (S. 172)
Das Sich-getrennt-Fühlen ist ein „göttliches Spiel“, in dem der Eine den Einen sucht. Und das Glück, in der Tiefe des Wesens einander zu finden und zu erkennen, gehört zu den ergreifendsten und heiligsten Momenten des Lebens. (S. 185)
Denn ein „Wir-Feld“ würde wahrscheinlich desto kraftvoller ausstrahlen, je mehr Liebe bzw LIEBE dort gelebt wird. Das schon alleine wäre aus meiner Sicht ein guter Grund, ein polyamorischers Experiment im Sinne eines „Höheren Wir“ zu wagen. (S. 190)
Michael Habecker:
Die Kartographie der Liebe … in diesem Sinne ist ein Ausdruck von Liebe. (S. 243)
Gibt es etwas in dir, was nicht kommt und geht, sondern einfach nur IST und LIEBT? (S. 258) – Schau auf die geschaffene Welt, und wie alles mit allem zusammen hängt. Ist dies nicht alleine schon ein Liebesbeweis? Das gleiche Wasser, welches uns erfrischt, hat schon unzähligen Lebewesen als Nahrung gedient, ebenso wie die Luft, die wir nur deshalb einatmen können, weil andere Wesen sie ausatmen. Das ist die liebende Ökologie allen Seins! (S. 268)
Dem Leben mit allen seinen Gegebenheiten zu begegnen und dabei das Herz offen zu halten, als der Ort, den die meisten Menschen als Lokalisation ihrer Liebe bezeichnen, ist die ultimative Liebespraxis. (S. 270)
Auf einmal war aus einem abstrakten Schildkröten-Es ein Du geworden, ein lebendiges Wesen. … Schuildkrötenkommunikation. … Gute Reise, liebe Schildkröte, du hast mich viel über die Liebe gelehrt, und danke für deinen Besuch bei uns. (S. 272 f.)
Ken Wilber:
Liebe auf diesen frühen Entwicklungsstufen ist Teil eines Spiels um den Mangel. … Dies ist die Ursache für die unzähligen Dramen, die sich abspielen, wenn jemand das Gefühl hat, dass seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Dieses Spiel ist quasi endlos, denn es ist das Wesen einer Liebe aus Mangel heraus.
Doch die Entwicklung kann weiter gehen, hin zu den Entwicklungsstufen …, wo es nicht länger um Mangelbedürfnisse, sondern um Seinsbedürfnisse geht. Erst hier kann Liebe wirklich in ihrer wahren Natur gesehen und erkannt werden, und das bedeutet in Fülle und Überfluss. einheit und höhere Verbindungen werden jetzt aus einem Erleben von Überfluss und Überströmen angestrebt. (S. 279)
Andrew Cohen
Die Erfahrung der absoluten Liebe als unendliches, zeitloses Sein ist die Entdeckung der Natur Gottes im Zustand der Ruhe. Doch wie ich erfahren habe, ist Gott auch Eros, der kreative Impuls. Beim ursprünglichen Übergang von der Zeitlosigkeit zur Zeit, vom Sein zum Werden, vom Nichts zum Etwas veränderte sich die Manifestation und der Ausdruck der unendlichen Natur des Absoluten dramatisch. Wenn Sein die Natur Gottes in Ruhe ist, so ist Werden die Natur Gottes in Aktion – Gott als Eros oder das Verlangen, in Zeit und Form zu existieren. (S. 293)
Die Liebe Gottes, die direkt aus dem Grund des Seins kommt, ist die Quelle dessen, was gewöhnlich „bedingungslose Liebe“ genannt wird. … Es ist die spirituelle Quelle aller wirklichen Heilung, von Individuen und der gesamten Welt gleichermaßen. Die Liebe Gottes als Eros hat jedoch eine andere Qualität. … Es ist eine Naturgewalt, ein vertikaler Impuls im Bewusstsein, der neue Ideen, neue Erfindungen und neue Welten schöpft. Es bringt ununterbrochen neue Potenziale hervor. Unser Verständnis dessen, was absolute Liebe ist, muss immer beide Dimensionen des ultimativen Paradoxes beinhalten. (S. 294)
Genpo Merzel Roshi:
Ich liege jenseits des Persönlichen und des Unpersönlichen. Ich bin die Identität des Relativen und des Absoluten. Ich bin Big Heart. Ich bin wahre Liebe, die bedingte Liebe wie auch bedingungslose Liebe, bedingungslose Offenherzigkeit, das Große Herz. (S. 305)
Mein Fazit: Unter dem Strich ist das Buch „sehr gut“, weil es den Stand integraler Philosophie über Liebe „sehr gut“ widerspiegelt. So treten auch Schwachstellen auf. Evolutionär gesehen steckt die integrale Philosophie ja erst in den Kinderschuhen. Und das Buch zeigt gut auf, dass das Thema der LIEBE – im Gegensatz zu GEIST – nicht gerade ihre Stärke ist, dass hier noch starker Entwicklungsbedarf besteht. Ich wünsche der integralen Philosophie und Spiritualität einen „Urknall der Liebe“. Das Buch ist ein erste große Schwerpunktverschiebung von GEIST auf LIEBE, wenn auch noch sehr konzeptionell.
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