Anne Wilson Schaef: Co-Abhängigkeit

Das kleine Büchlein von Anne Wilson Schaef „Co-Abhängigkeit“ ist ein Meilenstein in der Untersuchung von Suchtverhalten und Suchtbeziehungen. Es eröffnet uns den Horizont, die alltägliche SUCHT in uns selbst zu entdecken und zu erkennen.

Als Co-Abhängige wurden früher die Partner(innen) von Alkoholkranken gesehen. Dies ist zu kurz gegriffen! Co-Abhängigkeit SELBST ist eine Krankheit und eine Sucht, die dem Alkoholismus in keiner Weise nach steht. (Manchmal scheint der Witz zutreffend, dass es kein Wunder sei, wenn der Partner des Co-Abhängigen zur Flasche greift, um eine solch verrückte Beziehung überhaupt aushalten zu können.)

Anne Wilson Schaef geht in diesem Buch aber noch einen entscheidenden Schritt weiter: Sie sieht hinter all den verschiedenen Erscheinungsformen der SUCHT den ganzen SUCHTPROZESS, der einen Menschen von seinem wahren SELBST und seinem authentischen Leben entfremdet. UND da, wo der normale Suchtprozess zum Alltag eines jeden einzelnen wird, da ist die Schlussfolgerung naheliegend: Wir leben in einer Suchtgesellschaft! Die privatwirtschaftliche, kapitalistische Gesellschaft BRAUCHT unsere Süchte und nährt sie (denken wir nur an Spielsucht, Sexsucht, Konsumrausch, Medienkonsum).

Hier die aufschlussreiche Liste von typischen Merkmalen des Suchtprozesses:

  • Unehrlichkeit (Verleugnung, Projektion, Wahn);
  • ein gestörtes Gefühlsleben (Gefühlsstarre, abgespaltene Gefühle, verzerrte Gefühle, Ressentiments etc.);
  • Kontrollverhalten;
  • gestörte Denkstrukturen (verwirrtes Denken, zwanghaftes Denken, Überbewertung des linearen, logischen, analytischen Denkens, dualistisches „Entweder-Oder“-Denken);
  • Perfektionismus;
  • Außenorientierung (Fremdbestimmtsein, geringes Selbstwertgefühl, Eindruck-Schinden, Unterwürfigkeit);
  • Abhängigkeitsprobleme;
  • Angst;
  • Rigidität;
  • moralisierendes Verhalten;
  • Depression;
  • Unterlegenheits- / Überlegenheitsgefühl;
  • Selbstbezogenheit;
  • Verlust der inneren Moral, verunsicherte Wertvorstellungen, Verlust der eigenen Spiritualität;
  • Gefühlsstau;
  • Negativismus. (S. 54)

Es geht nicht um Anklage und Pathologisierung, sondern diese versteckten Süchte zu erkennen und uns zu ENT-SÜCHTIGEN, NÜCHTERN zu werden, KLARHEIT zu gewinnen. Hier hat Anne Wilson Schaef ihr „Living-Process“ (Lebens-Prozess) entdeckt (den sie damals noch als „Therapie“ bezeichnet hat, später wurde dieses „Leben im Prozess“ die einzig wahre Lebenskunst).

Das Buch schließt mit 9 Thesen zur Behandlung von offenen und verdeckten Süchten, die sicher auch heute noch maßgebend sind. Das „Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker“ spielt dabei auch eine zentrale Rolle.

Wir haben in diesem Buch einige ziemlich unorthodoxe und sicher auch aufregende Ideen über die Krankheit Co-Abhängigkeit erörtert, wir haben die verschiedenen Theorien und unterschiedlichen Ansätze kennen gelernt, wir haben erkannt, daß Co-Abhängigkeit ein Teil des Suchtprozesses ist und dass ein Hinüberwachsen in ein Living-Process-System möglich ist. Ich bin davon überzeugt, daß mein Konzept der Co-Abhängigkeit helfen kann, ein ganz neues Verständnis vom gesunden und ganzheitlichen Menschen zu erschließen. (S. 112)

Fazit: Das Büchlein führt in die ganze Thematik der SUCHT und der GENESUNG als Prozess ein. Hier sind alle wesentlichen Aspekte konzentriert und im Zusammenhang benannt.
Es ist auch eine gute Einführung in die späteren Werke von Anne Wilson Schaef, in denen sie die hier aufgestellten Thesen in einer Radikalität und Klarheit vertieft, die selten anzutreffen sind. Sie ist schonungslos ehrlich und kennt mit dem ganzen Suchtsystem keine Gnade.

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Co-Abhängigkeit: Die Sucht hinter der Sucht

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