Frank Schirrmacher: EGO – Das Spiel des Lebens

Ich denke, ich muss mich nicht erst als spirituellen Menschen outen, wenn ich das Buch bespreche. Doch es ist ausdrücklich meine Sichtweise auf das Buch! Die Begriffe „EGO“ und „Spiel des Lebens“ gehören zu den „Haupt-Schlüsselworten“ in einem spirituellen Bewusstsein – und der „segensreiche“ Titel (wenn ich auf den Verlagsnamen „Blessing“ anspielen darf) ist eine Herausforderung. Es ist völlig anders als erwartet. „Ego“ und „Spiel des Lebens“ bekommen plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Und dann hat mich das Buch gepackt, in seinen Bann gezogen und ich habe es in einem durchgelesen – mit einer nächtlichen Schlafpause, die ich dann wirklich auch brauchte. Meine morgendliche Meditation musste ausfallen, ich habe gleich weiter gelesen.
Das Buch hat mich erschüttert, es hat mir Angst gemacht (im Sinne von: die da oben haben mich voll unter Kontrolle und im Griff). Es war die erste Reaktion. Und dann wurde mir schnell bewusst: Es ist MEINE Angst, der Autor spielt nicht mit Ängsten, sondern pro-voziert nur das, was da ist. Meine aufkommende Angst ist nur ein Spiegel meines eigenen Marionetten-Dasein.

Dieses Buch basiert auf einer einzigen These. Sie wird neuerdings wieder verstärkt von einigen Renegaten unter den Ökonomen mit dem Titel „ökonomischer Imperialismus“ diskutiert. Damit ist gemeint, dass die Gedankenmodelle der Ökonomie praktisch alle anderen Sozialwissenschaften erobert haben und sie beherrschen. … In unserer Lebenswelt erleben wir diesen Imperialismus als Ökonomisierung von allem und jedem. (S. 15 f.)

Das „Spiel des Lebens“ ist das Spiel der Finanzoligarchie

Das „Spiel des Lebens“ ist nicht das Göttliche Spiel mit sich selbst im Sinne von Sri Aurobindo: „Was letzten Endes ist Gott? Ein ewiges Kind, das in einem ewigen Garten
ein ewiges Spiel spielt.” Nein, das „Spiel des Lebens“ ist das manipulative Spiel der Finanzmachthaber mit uns.

Die Sozialpsychologie kennt ein merkwürdiges Gesetz: Das Leben jedes einzelnen von uns ist nicht vorhersagbar, doch das Leben einer „Masse“. Die Sozialpsychologie wurde zur „Massenpsychologie“ mit dem Hauptthema: Wie lassen sich Massen steuern?

Und hier hat diese Psychologie ihr Instrument gefunden: die Spieltheorie. Sie basiert auf einer einzigen Hypothese: Jeder handelt als Egoist! „Selbst wenn man nicht mitspielt, wird man ins Spiel hineingezogen: taxiert, quantifiziert, und alles, was man sagt und tut, wird auf den universellen Ego-Trip reduziert.“ (S. 71)

Umgekehrt gelesen heißt das (und das ist die große Lehre des Buches): Je mehr die Menschen zu Egoisten erzogen werden, desto manipulativer sind sie. Mit meinem Nachsatz: Als Egoisten sind wir außengesteuert, als spirituelle Menschen in erster Linie innengesteuert, von unserer inneren Stimme, unserem Gewissen, unserer Seele gesteuert.

Der neue Mensch oder Nummer 2?

Ich werde mir durch das Buch auch meiner eigenen Naivität bewusst. Es lässt sich leicht über den „neuen Menschen“ philosophieren, den „Sprung zur wahren Menschheit“, dabei ist dieser „neue Mensch“ längst unter uns. Schirrmacher nennt ihn „die Nummer zwei“.

Nummer 2 wurde nicht als Monster geboren, sondern als „homo ökonomicus“, eine Hypothese des Menschen zur Simulation des Menschen. … Nummer 2 wettet auf uns und setzt dabei immer öfter unsere Existenz aufs Spiel. Er fängt leider an, ein Monster zu werden. Er ist ein Hominid, ein menschenähnliches Wesen. … In diesem Buch nennen wir ihn „Nummer 2“. Weil er irgendwann anfing, für Nummer 1, den echten Menschen, zu denken und zu handeln. (S. 58)

Denn zu den „Charaktereigenschaften“ von Nummer 2, Egoismus und Profitmaximierung, kommt noch eine dritte hinzu: die pure Angst. (S. 68)

In der geschürten Angst vor Atomkriegen, Kultur- und Glaubenskriegen, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit und Armut wird im Hintergrund die eigentliche Gefahr für unser Menschsein erschaffen: den an Frankenstein erinnernden „Nummer 2“.

Während wir angestachelt werden gegen den „Fundamentalismus Andersgläubiger“, sind wir selbst Manipulations-Opfer eines „Markt-Fundamentalismus“, fundamentaler sozialer und ökonomischer Kontrolle.

Und welche Rolle spielen „wir Spirituellen“ in diesem Spiel?

Solange wir dieses Spiel nicht durchschauen, uns dessen nicht bewusst sind, sind wir selbst Marionetten in diesem Spiel! Das ist mein eigentlicher Schock beim Lesen des Buches. Unsere „Spiritualität“ ist Teil des Spiels, wenn sie nicht mehr als eine „Spiritualisierung des Egos“ ist. Wir lassen uns missbrauchen, wenn wir uns dessen nicht bewusst sind.

Es gibt viele Kritiken an THE SECRET, auch und gerade aus spiritueller Sicht. Es wird dabei nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern „ergänzt“. Die Kritik an „The Secret“ von Schirrmacher geht viel tiefer:

Alles ist möglich, alles ist grenzenlos. Die Verheißung ist das seelische Gegenstück zur Globalisierung (S. 207)

THE SECRET ist „die Gebrauchsanleitung für das Spiel des Lebens“ … mit dem teuflischen Pferdefuß: „Alles ist möglich, nur nicht für dich.“ (S. 208)

Viele Menschen mühen sich ihr Leben lang ab und verstehen einfach nicht, warum ES nicht funktioniert. Warum für sie nicht gilt, was man allen versprochen hat. Sie erleben sich als ein Experiment, das permanent missglückt. (S. 233)

Der ganze zweite Teil des Buches „Die Optimierung des Menschen“ ist vollgespickt mit „spirituellen Sprüchen“ und ihrer Entlarvung im Dienste des großen Spiels der Manipulatoren: „The Secret“ (der Allmachtswahn der Ohnmächtigen), „Erfolg“ („Gott will, dass du reich bist, warum bist du es nicht?“), „Alchemisten“ (die Rückkehr der Magie, die Alchemie der Ökonomen), „Verwandlung der Seele“ (die Metamorphose der Seele zum Ego), „Deth Dating“ (schöpferische Zerstörung, alles zerstören, nichts mehr bewahren), „Reenergiering“ (ALLES an Wert „transmutiert“ in Geld), „Du“ (die digitale Nr.2 in mir, mit dem ich im Krieg bin), „Massenwahn“ (lebenslanges Lernen = lebenslange Manipulation, ständig „sich neu erfinden“), „Ego“ (die Marionetten töten!)

Es überkommt mir wirklich SCHAM, weill ich selbst einen Beitrag dazu geleistet habe, diese spirituelle Droge „Alles ist gut, so wie es ist“, mit verbreitet zu haben. Gleichzeitig weiß ich, dass es in mir immer auch eine Widerstand dagegen gab: Meine Diplomarbeit in meinem zweiten Pädagogik-Studium richtete sich ausdrücklich gegen den Einzug des „Humankapitals“ in die Pädagogik, die Vereinnahmung der Pädagogik durch die Ökonomie.

Ich habe beide Seelen in meiner Brust: das Affirmative und den Widerstand. Es ist mir noch nie so bewusst geworden wie nach dem Lesen dieses Buches. Danke, Frank Schirrmacher.

Wie politisch ist die Spiritualität?

Ich war früher „ein politischer Mensch“, gehörte selbst zu den 68ern. Mit meiner „Spiritualisierung“ bin ich selbst für mich erschreckend unpolitisch geworden. Doch nichts ist politischer als das Unpolitische. Ich ahne, was da in mir vorging. Wenn wir keine „politische Spiritualität“ entwickeln, die die Falschmünzer aus dem Tempel jagt, sind wir verloren. Die TROJANER, die sich unserer Seele bemächtigen wollen, singen mit Engelszungen. Wer hat Angst vor dem Schwarzen Buch? Auch Spiritualität kann eine Sucht sei. Wer sich davon heilen mag, dem möchte ich dieses Buch ans Herz legen. Es kann unsere „Wir-haben-uns-alle lieb-Weltanschauung“ erschüttern. Doch was ist Spiritualität, wenn nicht erschütternd?! Spiritualität soll uns nicht in Trance versetzen, sondern aufwecken. IN diesem Sinne ist Frank Schrirrmachers Buch ein überaus spirituelles Buch, ein SEGEN.

Mein Fazit: Ich kann das Buch nur jedem empfehlen, der noch bereit ist, sich erschüttern zu lassen, der bereit ist, nicht wegzuschauen, der bereit ist, sich komplett in Frage zu stellen – als Opfer oder als Täter im globalen Manipulations-System.
Die Herausforderung ist unser Menschsein – und da spielen politische Einstellungen, gesellschaftliche Positionen, „Klassen-Bewusstsein“ keine Rolle mehr: Wer bist du als Mensch? Was lässt du geschehen? Welchen Beitrag leistest du für das Erwachen der Menschheit zum globalen Humanismus? Es gefällt mir, dass hier jeder „sein Fett wegbekommt“, auch die Spirituellen. Am Ende zähl nicht das, was man sich einbildet, sondern nur der Beitrag, den man faktisch für eine „bessere Welt“ leistet. Wer sich durch dieses Buch nicht nicht erschüttern lässt, ist schon verloren. Frank Schirrmacher, Sie haben mich erschüttert – auch mit Ihrem viel zu frühen Tod.

* Dieser Beitrag hatte seit Erscheinen bisher 257 Leser/innen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

4 × eins =