Fritjof Capra: Wendezeit im Chrsitentum

im Dialog mit David Steindl-Rast und Thomas Matus:
Perspektiven für eine aufgeklärte Theologie

Aus der kreativen Phase „Wendezeit“ bei Capra ist dieses Buch besonders interessant. Es ist ein Dialog von Fritjof Capra zusammen mit den Benediktiner-Mönchen David Steindl-Rast und Thomas Matus. Die Gespräche finden 1985 im Ensalen-Institut in Kalifornien statt.

Capra stellt das Neu Denken in der Naturwissenschaft mit 5 entscheidenden Kriterien dar, Pater Steindl-Rast und Matus stellen fest, dass dieses Neue Denken auch in der aufgeklärten Theologie Einzug gehalten hat.

Fritjof Capra sieht die Wende des Neuen Denkens in der Naturwissenschaft so:

„Das alte naturwissenschaftliche Paradigma kann man als kartesianisch, newtonsch oder baconsch bezeichnen, da seine Haupteigenschaften von Descartes, Newton und Bacon formuliert wurden. Das neue Paradigma kann man ganzheitlich, ökologisch oder systemisch nennen, wobei keines dieser Adjektive es vollständig charakterisiert. Das neue Denken in der Naturwissenschaft umfasst die nachstehenden fünf Kriterien, deren erste beiden sich auf die Sicht der Natur, die anderen drei auf die Epistemologie beziehen.“ (S. 12)

Thomas Matus und David Steindl-Rast paraphrasieren:

„Das alte theologische Paradigma kann man als rationalistisch, manualistisch (lehrbuchhaft) oder positiv-scholastisch bezeichnen, da seine Haupteigenschaften in theologischen Hand­büchern auf der Grundlage scholastischer, schriftlich überlieferter Beweistexte formuliert wurden. Das neue Paradigma kann man ganzheitlich, ökumenisch oder transzendental-thomistisch nennen, wobei keines dieser Adjektive es vollständig charakterisiert. Das neue Denken in der Theologie umfasst die nachstehenden fünf Kriterien, deren erste beiden sich auf unsere Anschauung von der göttlichen Offenbarung, die drei anderen auf unsere theologische Methodologie beziehen.“ (S. 12)

Diese fünf Kriterien, wie sie im Buch später S. 121 – 230 ausführlich diskutiert werden, sind:

  1. Wechsel vom Teil zum Ganzen (Capra)
    Wechsel von Gott als Offenbarer der Wahrheit zur Wirklichkeit als Gottes Selbstoffenbarung (Matus, Steindl-Rast)
  2. Wechsel von der Struktur zum Prozeß (Capra)
    Wechsel von der Offenbarung als zeitloser Wahrheit zur Offenbarung als historische Manifestation (Matus, Steindl-Rast)
  3. Wechsel von der objektiven zur „epistemischen“ Naturwissenschaft (Capra)
    Wechsel von der Theologie als objektiver Wissenschaft zur Theologie als Prozeß des Erkennens (Matus, Steindl-Rast)
  4. Wechsel vom Gedankengebäude zum Netzwerk als Metapher des Erkennens
    (Capra und Matus, Steindl-Rast)
  5. Wechsel von der Wahrheit zu annähernden Beschreibungen (Capra)
    Verlagerung des Schwerpunkts von theologischen Feststellungen zu göttlichen Mysterien (Matus, Steindl-Rast)

Einige Wissenschaftler haben den Dialog mit spirituellen Meistern schon gesucht wie David Bohm mit Jiddu Krishnamurti, Rupert Sheldrake mit Matthew Fox. Dieses Buch des Dialoges ist ein weiterer Höhepunkt, Theologie mit Naturwissenschaft nach Jahrhunderten der Trennung wieder zu ver­binden.

David Steindl-Rast:

„Die Theologie und die Naturwissenschaft sind wie zwei Korken, die auf derselben Welle schwingen. Die Welle könnte das kollektive Bewusstsein, die Kultur, der Zeitgeist oder so etwas Ähnliches sein. Dieses kollektive Bewusstsein erlebt jetzt einen Paradigmenwechsel. Das halte ich für unsere gemeinsame Basis. Sie manifestiert sich in der Naturwissenschaft und in der Theologie. … Wir können das als eine integrierende Beschäftigung mit derselben Wirklichkeit bezeichnen. Die Naturwissenschaft und die Theologie wären dann interagierende Annäher­ungen an dieselbe Wirklichkeit – nämlich an menschliche Erfahrung. Im Volksmund sagt man, die Naturwissenschaft fragt nach dem ‚Wie‘ und die Theologie nach dem ‚Warum‘.“ (S. 34 f.)

Das Buch diskutiert die großen theologischen Themen wie Glaube, Ethik, Rituale, Offenbarung, „Reich Gottes“, Dreifaltigkeit, christliche Liebe, Auferstehung, die Rolle von Jesus als dem kosmi­schen Christus, zu dem auch Buddhisten und Hindus immer mehr Zugang finden. Capra weist darauf hin, dass der ursprünglich von Thomas Kuhn für die Naturwissenschaft entwickelte Begriff des Para­digmenwechsels jetzt einen umfassenden Sinn bekommen hat, der das Soziale und die Theologie mit einbeziehe.

Capras Begriff des „neuen Paradigmas“ hat in seiner Breite nun nicht nur die Theologie erreicht, sondern greift in seiner Tiefe bis hin zu den Wurzeln des Patriarchats:

„Das alte Paradigma hat meiner Ansicht nach zwei Wurzeln. Die eine ist die mechanische Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts, wie sie von Galilei, Descartes, Newton, Bacon und deren Zeitgenossen entwickelt wurde. Die andere ist das patriarchalische Wertesystem, das sich natürlich aus noch älteren patriarchalischen Verhaltensweisen, Verhaltensmustern und Anschauungen ableitet. Beide sind eng miteinander verbunden.“ (S. 101)

 

„Aus diesem Grund handelt es sich bei dem neuen Paradigma um eine neue Denkweise und zugleich um eine neue Art von Spiritualität.“ (S. 102 f.)

Thomas Matus unterstützt diese Sicht noch umfassender:

„Das neue Paradigma entwickelt keine Spiritualität, die dann auch einige soziale Implikationen hat. Es vertritt vielmehr die Anschauung, Spiritualität sei wesenhaft und unvermeidlich sozial. Wir sind ‚spirituell‘: das heißt, wir sind mit Gott verbunden, in Gemeinschaft mit anderen oder überhaupt nicht. Und diese ‚anderen‘ sind nicht nur  die anderen unserer Religion, sondern letztlich die gesamte menschliche Familie. Das ist die älteste aller christlichen Paradigmen. …“
(S. 246)

Auch die anderen Dialog-Teilnehmer verweisen darauf, dass das „neue Paradigma“ Wurzeln auch in ganz alter Tradition hat.

Pater David Steidl-Rast weist darauf auf die Verwandtschaft von ökologischem und ökumenischen Denken hin:

„Ich möchte noch auf eine interessante Parallele hinweisen. Wie Sie ‚ökologisch‘ sagen, sprechen wir von ‚ökumenisch‘. Das ist kein bloßes Spiel mit Worten, sonern eine tiefe Wahrheit, daß wir in beiden Fällen die Intuition eines die ganze Erde umfassenden Haushalts haben – weil die Wurzel beider Ausdrücke das griechische Wort oikos, ‚das Haus‘ ist. (S. 103)…
‚Ökumenisch‘ und ‚ökologisch‘ sind irgendwie abstrakt, nicht richtig greifbare Begriffe. In dem Augenblick jedoch, in dem man ‚Haushalt der Erde‘ sagt, hat man etwas Handfestes.“ (S. 104)

Beide Seiten betonen am Ende des Dialogs, dass sowohl das tiefenökologische Gewahrsein wie die Schöpfung als Offenbarung des Göttlichen im wahrsten Sinne spirituell sind. Beides läuft auf eine „mystische Erfahrung“ hinaus, dessen Mysterium nicht mehr in Worte zu beschreiben ist.

Besonders wichtig ist den Dialogpartner herauszustellen, dass es im Paradigma der Neuen Zeit vor allem darum geht, eine nachhaltige Gesellschaft zu schaffen, so wie Lester Brown es definiert hat:

„Eine ökologisch tragfähige Gesellschaft ist eine, die ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Zukunftschancen künftiger Generationen zu vermindern.“ (S. 235)

Im Schlussteil diskutieren die Dialog-Teilnehmer noch ein paar spezielle Fragen wie die der „Befrei­ungs­theologie“, Macht und Verantwortung, die Illusion der Wertefreiheit der Wissenschaft  oder die Rolle des „New Age“.

Capra: „Ich definiere die New-Age-Bewegung als besondere Manifestation des gesellschaft­lichen Paradigmenwechsels, eine Manifestation, die in den 1970er Jahren in Kalifornien ihre Blüte erlebte und in der ursprünglichen Form nicht mehr existiert. Es war damals eine beson­dere Konstellation von Anliegen, Interessen und Themen – die Bewegung zur Entfaltung des menschlichen Potenzials, der ganze Bereich der humanistischen  Psychologie, das Interesse für Spiritualität und für okkulte, paranormale Phänomene sowie die Bewegung für ganzheitliche Gesundheit. Ich würde sagen, alles das zusammen macht die New-Age-Bewegung aus. Was sie im negativen Sinne charakterisierte, war das praktisch völlige Fehlen eines gesellschaftlichen und politischen Bewusstseins. …, war bei der New-Age-Bewegung weder ökologisches noch soziales Bewusstseins anzutreffen. Ganz zu schweigen von feministischen Bewusstsein. All das fehlte der New-Age-Bewegung. (S. 253)

Pater Steidl-Rast will bei allen Bedenken auf den Begriff des „New Age“ nicht verzichten:

„Dennoch ist es schade, diesen bedeutenden Begriff einer vergangenen Periode zu überlassen. Die gute Botschaft ruft eigentlich stets nach einem neuen Zeitalter. …
Ich würde sagen, die AHP (Association of Humanistic Psychology) hat ein New-Age-Bewußt­sein, ein voll entwickeltes New-Age-Bewußtsein. Und in diesem Sinne kann man diesen Ausdruck ‚New Age‘ erneut verwenden.“ (S. 254)

Mir gefällt dieses Buch besonders gut, da es auch für das Christentum eine „Wendezeit“, die Zeit für eine „aufgeklärte Theologie“ weist. Das Christentum hat für die existentielle Krise der Menschheit eine besondere Verantwortung – auch für die Überwindung der Krise. Das Buch greift auch die Mystik des Christentums wieder auf.

Capra, Steindl-Rast:  Wendezeit im Christentum: Perspektiven für eine aufgeklärte Theologie (Klick)

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