Gerald & Lee Jampolsky: Verzeih mir bitte
Meinem Sohn zu seinem gestrigen Geburtstag gewidmet.
Zum Vatertag und aus gegebenem Anlass (ich lebe bei Sohn und Enkel, ohne meinen Sohn zum Vatertag gesehen zu haben) fällt mir ein Buch nicht zufällig in die Hand, das ich umgehend rezensieren möchte: „Verzeih mir bitte. Die Geschichte einer Heilung zwischen Vater und Sohn“
Es geht um die Heilung einer Wunde, die vielleicht größte Wunde eines Mannes: die Vater-Wunde. Wir haben mit Sicherheit auch eine Mutter-Wunde, doch die Vater-Wunde trifft uns im Mark. Mit unserer Vater-Wunde sind wir im Kern in unserer Männlichkeit verletzt. Und es geht um mehr: Wir können nicht nur unseren Söhnen keine authentischen Väter sein, sondern auch zu Frauen keine wirklich intime Beziehung aufbauen, solange unsere Vater-Wunde nicht geheilt ist.
Erst als ich die Beziehung zu meinem Vater heilte, wurde ich zu einem „ganzen Mann“, der mit einer Frau auch Intimität teilen kann. (Lee, S. 14)
Es ist nicht nur ein wichtiges Buch für Väter und Söhne, sondern auch für Frauen:
Je umfassender Frauen verstehen, warum Väter und Söhne sich so verhalten, wie sie es tun, desto deutlicher können sie auch die Furcht erkennen, die Männer vor ihren eigenen Gefühlen und ihrer Verletzlichkeit haben. Und genau diese Furcht führt oft zu einem Zusammenbruch der Kommunikation zwischen Männern und Frauen.
Tiefsitzende Ängste, die aus ihrer Beziehung zu ihrem Vater stammen, können Männer buchstäblich betäuben – sie taub machen gegenüber ihren Gefühlen. Die Frauen in ihrem Leben halten sie dann möglicherweise für gefühllos und unsensibel. Doch das Gegenteil ist der Fall. Männer haben in Wirklichkeit unendlich viele Gefühle, aber sie sind so voller Angst, dass sie an diesen Gefühlen nicht um alles in der Welt rühren würden. Vielleicht ist das ein weiterer Grund, warum so viele Männer zu Workaholics werden, zu Männern, die zu beschäftigt sind, um Zeit für Gefühle zu haben. (Lee und Jerry aus der Einleitung, S. 22)
Ich wünsche jedem Mann, dass er irgendwann an den Punkt kommt, wo er seinem Vater sagen kann: „Ich weiß, dass ich nicht länger ohne dich wachsen kann.“ (Lee, S. 29)
Irgendwann ist die Grenze erreicht, da müssen wir uns unserer Vater-Wunde stellen, da geht es ohne diese Heilung nicht weiter, drehen wir uns nur noch im Kreis.
Das Buch ist sehr ehrlich und offen, immerhin sind Vater und Sohn in Amerika bekannte Psychiater, Psychologen, spirituelle Lehrer. „Für Außenstehende waren wir eine vorbildliche Familie, doch unter der Oberfläche dieses idyllischen Familienlebens spürte ich eine Spannung, über die niemals gesprochen wurde. Zu diesem Mangel an Frieden gesellte sich für mich auch ein mangelndes Selbstwertgefühl.“ (Lee, S. 14)
Es geht um viele alltägliche Probleme, Alkoholismus, Drogensucht, elterliche Trennung und Scheidung, Arbeitssucht, Krankheiten; viele Stellen, in denen „man“ sich im Buch wieder findet.
Weil das Buch so authentisch ist (Briefe zwischen Vater und Sohn, auch mit Gedichten von Lee), geht es sehr nahe. Es reflektiert aber an vielen Stellen auch die Heilungsschritte und gibt allgemeine Tipps.
Der Schlüssel zu meiner Heilung lag in der Erkenntnis, dass beides zwingend notwendig ist: Jeder Mann muss sich gleichzeitig mit seinem Vater identifizieren und sich von ihm trennen. (Lee, S. 55)
„Solange wir unseren Schmerz und unsere Leere voneinander verstecken, zeigen sie sich regelmäßig in selbstzerstörerischer Weise. Wenn wir unseren Schmerz voreinander verstecken, können wir keine ganzen Männer werden. Unsere Beziehung zum verinnerlichten Vater muss geheilt werden, bevor wir wirklich frei sein können. (S. 67)
Wir bedauern beide, dass sich so viele Menschen in unserer Gegenwart lange Zeit nicht wohl gefühlt haben, weil sie nie sicher sein konnten, wie wir uns in der nächsten Sekunde verhalten würden. (S. 70)
Da ich meine Männlichkeit durch meine Mutter als Vaterersatz entdeckt habe, habe ich die Suche nach Bestätigung bei anderen Frauen wiederholt. In meinem Zwanzigern suchte ich ständig nach Frauen, die meine Männlichkeit anerkannten und bestätigten. (Lee, S. 82)
Weil ich meinen eigenen Vater akzeptiere, kann ich auch den göttlichen Vater akzeptieren. Wenn die Schlacht gegen den eigenen Vater geheilt wird, hört der Kampf gegen den göttlichen Vater auf. (Lee, S. 98)
Ich hatte ganz bewusst meine spirituelle Reise angetreten, kurz nachdem ich Mutter Theresa hatte sagen hören, das größte Problem in der Welt sei der Mangel an Spiritualität. Sie erklärte, es sei ein Mangel an Spiritualität, wenn man sich seelenlos und ungeliebt fühlte, wenn man weder anderen noch sich selbst gegenüber Liebe empfinden könne. … Ich fühlte mich von Gott getrennt, und mein Leben bestand nur aus Schuldgefühlen, Schuldzuweisungen und Selbstverurteilungen.
Im Verlaufe meines spirituellen Weges wurde mir klar, dass der Sinn meines Lebens darin bestand, zu geben, zu lieben, zu vergeben und die Ängste der Vergangenheit loszulassen. (Jerry, S. 101)Unsere Seele schreit nach einem bedeutungsvollen Leben, einem Leben voller Liebe und einem Leben ohne Angst. (S. 221)
Ich wüsste keine bessere Botschaft, die ich hinterlassen möchte, als die: „Die Vater-Sohn-Beziehung ist heilig. Die Bindung zwischen Vater und Sohn ist so stark, dass sie so lange keine Ruhe geben wird, wie man sie unterdrückt. Die Heilung der eigenen Beziehung zum Vater oder Sohn ist die Pforte zum Leben und zur Freiheit. Heilung ist nicht nur möglich, sie ist Voraussetzung für Frieden.“ (S. 224)
Mein Fazit: Das Buch – obwohl leider schon vergriffen – kennt kein Vergleichbares zu einem großen „Tabuthema“: die Heilung des Bandes zwischen Vater und Sohn.
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