Jürgen Fischer: Sexuelle Liebe mit 50+

Untertitel: Tantra und energetische Liebe für erwachsene Menschen


Jürgen Fischer (ein Wilhelm-Reich-Experte) hat bereits das bahnbrechende Buch „Sexuelle Liebe im Jetzt“ im gleichen Verlag veröffentlicht. Das war im Grunde eine große Abrechnung mit der männlich dominierten Ideologie des „Liebe MACHENS“, des Neo-Tantrismus mit seinem patriarchalischem Kern, ritualisierter spiritualisierter Praxis und individuellen Therapien als Ego-Anpassungen. Ein gelungener „Rundumschlag“, der nur möglich ist aus einer höheren Warte (einem „neuen Paradigma“). Sogar die großen „heiligen Männer“ der sexuellen Revolution sind von seiner Kritik nicht ausgenommen: OSHO, Berry Long und Wilhelm Reich selbst. (Es macht ja Sinn, wenn ein Schüler über seinen Meister hinaus wächst.)

Ich würde dieses erste Buch jedem empfehlen, bevor er das zweite Buch „Sexuelle Liebe mit 50+“ liest. Vielleicht ist dazu auch meine Besprechung des ersten Buches hilfreich: > meine Buchbesprechung (Klick).Das erste Buch ist die Abgrenzung, im zweiten Buch entfaltet Jürgen Fischer – so weit es in Worte fassen lässt – diese „energetische Liebe“, damit Paare es praktisch leben können.

Jürgen Fisher zitiert in diesem Buch sehr ausführlich den amerikanischen Autor David Schnarch aus „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“. Hier wird in langen Zitaten die Essenz des 500-Seiten-Schmökers von Schnarch heraus gestellt. Der Autor schreibt selbst: „Kein anderes Buch über Sexualität hat mich so angeregt, über alle möglichen Aspekte von Sexualität und Paarbeziehung nachzudenken.“ (S. 36)

Reife Sexualität braucht reife Menschen

Der Autor durchbricht nicht nur das Tabu „Sexualität älterer Menschen“, sondern zeigt ganz im Gegenteil auf, dass ältere Menschen Sexualität viel reifer und tiefer erleben und genießen können. Die Sexualität jüngerer Menschen ist körperorientiert („Frisch-Fleisch-Sex“), die Sexualität reifer Menschen dagegen kommt ganz aus der Seele. Natürlich ist der energetisch frei fließende Körper beim Sex mit dabei, doch Grundlage der energetischen Liebe ist die Seelenbeziehung des Paares.

Menschen, die in der zweiten Lebenshälfte oder im letzten Drittel ihres Lebens stehen, haben eine großartige Chance, sexuelle Erfüllung in ihrer ganzen Bandbreite neu und in ihrer ganzen Schönheit zu erfahren. (S. 42)

 

Wir bauchen uns nichts vorzumachen: In unserer Kultur erleben die allermeisten Menschen über kurz oder lang das ganze sexuelle Elend. Erst durch ihre Lebenserfahrung und das Scheitern von falschen Sex- und Glückskonzepten, Jugendwahn und materialistischen Seifenblasen können ältere Menschen zum Wesen des Glücks vordringen. Der Autor schreibt sogar: „Das zu erkennen ist älteren Menschen vorbehalten“. (S. 52)

Die energetische Liebe besteht bei dem Autor aus zwei Polen: energetische Sexualität und Schmerzkörperarbeit. 

Jedes Mal, wenn du dich unfähig fühlst, deine sexuelle Lust zu leben, solltest du die Schmerzkörperarbeit anwenden. Sobald und so lange du Zugang zur Lust hast, kannst du mit deinem Partner die energetische Sexualität leben, weil du es dann auch willst. Das ist das natürliche Wechselspiel zwischen energetischen Sexualität und Schmerzkörperarbeit. Das ist das Wesen  einer spirituellen und sexuellen Liebesbeziehung auf der genitalen Charakterebene. Die energetische Liebe besteht also aus zwei grundsätzlichen Komponenten: energetische Sexualität und Schmerzkörperarbeit. (S. 131)

Energetische Sexualität

Der Autor definiert energetische Sexualität so:

Die energetische Sexualität sit eie spirituelle Erfahrung, die die Wahrheit des Ich Bin oder von Gegenwärtigkeit in der Vereinigung verwirklicht. (S. 55)

Die große Rolle der Gegenwärtigkeit (Lebe im Hier und „Jetzt!“ von Eckhart Tolle) kommt vielleicht am besten in diesem Kernsatz zum Ausdruck:

Ihr könnt damit euren Körpern und Seelen die Verfügungsgewalt darüber geben, die Lust beim Sex zu fühlen und die Lust auf Sex als irrelevant zu vernachlässigen. (S. 64)

Auch wenn das Buch ermahnt, keinen äußeren Regeln zu folgen, sondern der inneren Lust des Paares, enthält das Buch „Regeln“, Bedingungen, über das das Paar sich immer wieder verständigen sollte. Es sind sogar annähernd 25, wie zum Beispiel:

  • Vereinigt euch täglich.
  • Vereinigt euch, wenn einer von euch den Wunsch äußert.
  • Vereinigt euch nicht, wenn ein Schmerzkörper aktiv ist.
  • Stellt keine Vorerregung her.

Die Besprechung dieser „Regeln“ nimmt einen Großteil des Buches in Anspruch: S. 57 – 110. Doch es sind keine wirklichen Regeln, sondern Orientierungspunkte in der Übergangszeit, bis diese neu Art der Sexualität „in Fleisch und Blut“ übergegangen ist.

Alter Blümchensex in neuen Schläuchen? Ganz und gar nicht! Das wäre völlig missverstanden. Und hier bringt der Autor das Thema des hemmungslosen Sexes klar in dem Begriff des Fickens auf den Punkt. Es geht nicht darum, eine solche ungezügelte Leidenschaft abzuwehren, sondern von beiden Seiten (ungespielt) zuzulassen, wenn es durchbrechen will. Es wird nicht hergestellt, sondern ist eine Reaktionsweise von Körper und Seele. (Dieser Punkt hatte mich im ersten Buch des Autoren nicht wirklich überzeugt. Jetzt ist es bei mir anders, wohl auch ein Durchbruch beim Autor selbst.)

Für mich ist inzwischen klar, dass sich mir das Ficken tatsächlich erst durch die energetische Liebe vollständig eröffnet hat. (S. 79)

Schmerzarbeit in der Paarbeziehung

Der Autor macht gleich zu Anfang des Kapitels klar:

Du hast in deinen Beziehungen die geschichte der Menschheit, die Geschichte des Geschlechterkampfes, von Gewalt und Missbrauch als deine ganz persönliche Angst erlebt. (S. 111)

Diese Angst, der über Generationen aufgebaute Schmerzkörper ist das Gift für jede Liebe. Und nur wer hier achtsam und bewusst mit diesen Schmerzen umgeht, kann sich davon als Paar endgültig befreien. Der Autor greift dabei wieder auf die Schriften Wilhelm Rechs (neurotische Charakterstrukturen, energetische Blockaden, genitaler Charakter, funktionale Identität usw.) zurück, doch auch auf Eckhart Tolle, der den Begriff „Schmerzkörper“ geprägt hat („Eine neue Erde“ > meine Buchbesprechung).

Auch dieser Teil enthält wertvolle Orientierungspunkte wie:

  • Einigt euch jetzt (in einer schmerzlosen Situation) darauf, dass es darum geht, den Schmerzkörper bewusst zu machen
  • Den Inhalt des Schmerzkörpers als unwichtig erkennen
  • Erlaube dem Schmerzkörper zu sein usw.

Der Autor geht so weit zu sagen:

Letztlich werdet ihr beide füreinander zu Therapeuten. Eine LIebesbeziehung ist auch darauf gegründet, sich gegenseitige Hilfe und Unterstützung in schwierigen Situationen zu geben. (S. 128)

Mein Fazit: Das Buch enthält keine neuen Techniken, Übungen oder Rituale. Alles das ist eher Zirkus, lenkt vom unmittelbaren Kontakt des Paares über den Körper und die Seele ab. Doch es ist ein Anleitungsbuch für Paare, die energetische Liebe mit energetischer Sexualität und Schattenarbeit zu praktizieren. Die einzige „Übung“, die der Autor empfiehlt, ist, sein Buch immer und immer wieder zu lesen. In meinen Augen enthält das Buch wirklich die Essenz. Es ist befreiend, weil es uns von allem befreit, was einer aus sexuell gelebten spirituellen Liebe im Wege steht und blockiert. Ich wünsche dem Buch allen Erfolg der Welt. Es ist der kleine Leitfaden einer „neuen sexuellen Revolution“, wieder von einem 68-er initiiert. (Wir sind auch als 65-Jährige noch nicht am Ende!, wenn ich das aus eigener Sicht noch zusetzen darf.) Es kommt zur rechten Zeit, um auch das ganze Elend der Neo-Tantra-Szene hinter sich zu lassen. Viele brauchten wohl diese Erfahrungen, doch jetzt kann es weiter gehen zu einer sexuell aktiven Seelenliebe bewusster Paare.  


 

Die vom Verlag zur Verfügung gestellte Leseprobe (Klick)

Die Autoren-Homepage (Klick)

Im Buch immer wieder empfohlen:
„Die Reise zu deiner Seele“
als PDF (Klick) | als Hörbuch (Klick), beides kostenfrei


 

 

Jürgen Fischer:  Sexuelle Liebe mit 50+: Tantra und energetische Liebe für erwachsene Menschen (Klick)

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Ein Kommentar

  • Lieber Jürgen,
    ich wollte es zuerst nicht lesen, damit ich keine Vorurteile oder so habe. Aber jetzt
    habe ich es doch gemacht und was soll ich sagen, ich bin erstaunt, dass du auch das
    richtig gut hinbekommen hast.
    Bin gespannt darauf, was ich im Buch noch lesen und vllt. lernen darf.
    Die „Meisterin“!

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