Ken Wilber: Integrale Spiritualität

Untertitel der deutschen Ausgabe: Spirituelle Intelligenz rettet die Welt.
Original-Untertitel: A Startling New role for Religion in the Modern and Postmodern World

Wir sind auf dem Weg zu einem neuen Menschen, einer neuen Menschheit, der eigentlichen Menschwerdung des Menschen. Und nach der allumfassenden Zersplitterung und Trennung durch die Moderne und Postmoderne führt die integrale Epoche alles wieder zusammen, die neue Epoche der großen Umarmung von Allem.

Wilber schreibt dazu: „Ein neuer Tag ist angebrochen, ein neuer Morgen dämmert, ein neuer Mann, eine neue Frau zeigen sich am Horizont. Der neue Mensch ist integral, und das gilt auch für seine Spiritualität.“ (S. 9)

Wiber ist DER Philosoph der heutigen Zeit, der den Mut hat, eine „integrale Theorie von allem“ aus der Bewusstseinsforschung heraus zu wagen. Er steht in der ganzen Tradition der Denker/Philosophen, die das Göttliche vor allem als Bewusstheit, den GEIST betrachten.

Dazu gehörten Werke von Wilber, die jedes für sich bereits einen Meilenstein ausmachten:

  • Eine Synthese östlicher und westlicher Psychologie („Das Spektrum des Bewusstseins“, „Psychologie der Befreiung“, „Integrale Psychologie“)
  • Der Mensch auf dem Weg vom animalischen zum kosmischen Bewusstsein („Wege zum Selbst“)
  • Der Mensch aus transpersonaler Sicht auf der Suche nach Transzendenz („Das Atman Projekt“; „Der glaubende Mensch“)
  • „Die Halbzeit der Evolution“ von der ursprünglichen Vergangenheit bis zu ihrer integralen Zukunft („Eros, Kosmos, Logos“, „Eine kurze Geschichte des Kosmos“)
  • Wissenschaft und Forschung auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Weltverständnis („Das holographische Weltbild“, „Die drei Augen der Erkenntnis“, „Das Wahre, Schöne, Gute“, „Naturwissenschaft und Religion“)
  • Kritik des Pluralismus („Meister, Gurus, Menschenfänger“, „Boomeritis“)

Mit diesem Werk „Integrale Spiritualität“ gelingt es Wilber, den integralen Ansatz auf Religion und Spiritualität zu übertragen. Es ist sozusagen „die Probe auf’s Exempel“ seines „integralen Ansatzes“. Er stellt die revolutionäre Rolle der Religion/Spiritualität als „Förderband“ für die Evolution der Menschheit, ihrem Erwachen heraus.

Wenn aber die Religion ihr Versprechen einlöst, die Bestrebung der Menschheit zu sein, die GEIST erlaubt, durch sie zu sprechen, und GEIST sich zu seiner eigenen Manifestation tatsächlich entfaltet, dann wird Religion zum Förderband für die Menschheit, das diese von den kindlichen Schöpfungen des GEISTes zu den jugendlichen Schöpfungen des GEISTes zu erwachsenen Schöpfungen des GEISTes bringt … und weiter bis zum großen Morgen der kontinuierlichen Entfaltung des GEISTes. So sollte die große Rolle der Religion in der modernen und postmodernen Welt mit Sicherheit aussehen. (S. 276)

Gewiss kein seichtes Buch über das Göttliche, sondern ein philosophisches im besten Sonne des Wortes. HEGEL mag ein Vorfahr sein und SRI AUROBINDO und PIAGET und GEBSER und eine Menge der großen Denker der Menschheit mehr.

Die „integrale Spiritualität“ von Wilber ist aber nicht nur eine Integration in Philosophie und Religion, sondern etwas gänzlich NEUES.

  • Von der Wahrnehmung zur Perspektive. Zuerst ist die Perspektive,
    dann die (immer an eine Perspektive gebundene) Wahrnehmung. Das führt bei ihm zur „Post-Metaphysik“
  • Von der Subjektivität zur Intersubjektivität. Jede Subjektivität ist kulturell eingebettet und damit ein Teil der Intersubjektivität.
  • Das Spirituelle/Mystische ist nicht die höchste Stufe des Bewusstseins,
    sondern eine eigenständige Entwicklungslinie. Auf jeder Bewusstseins-Stufe sind Erleuchtungserlebnisse möglich, die allerdings dann gemäß der Bewusstseinsstufe interpretiert werden. So gibt es neben den Zahlreichen Arten der Intelligenz (Entwicklungslinien) auch eine spirituelle Intelligenz.
  • Es gibt bestimmte Bewusstseins-Zustände, die nicht mit Bewusstseinsstufen zu verwechseln sind. Dazu gehören das Grobstoffliche, das Subtile, das Kausale, das Nonduale. Es sind Zustands-Stufen im Gegensetz zu Struktur-Stufen.
  • Struktur-Stufen und Zustands-Stufen sind verbunden im „Wilber-Combs-Raster“. Dies führt zu einem völlig neuen Verständnis von „Erleuchtung“.
    „ERLEUCHTUNG  ist die Verwirklichung von Einssein mit allen Zuständen und allen Stufen, die sich bis zu diesem Punkt entwickelt haben …“ (S. 137)
  • Es gibt auch „spirituelle Störungen“ (Pathologien), von denen Wilber exemplarisch den „Boomeritis-Buddhismus“ bespricht: einer Egostruktur, die sich als Buddhismus verkleidet, selbsttäuscht, „spiritualisiert“.
  • Zu diesen „spirituellen Pathologien“ gehört auch die Nicht-Heilung des Schattens. Eine reine „Desidentifikation“ befreit nicht vom Schatten, sondern befördert die „unbewusstse Anhaftung“. „Die Desidentifizierung mit einem Selbst, das ich als zu mir gehörig betrachte, ist Transzendenz; die Desidentifi-zierung mit einem verstoßenen Selbst ist doppelte Abspaltung.“ (S. 187)
  • Der GEIST in drei Personen ist ein weiterer großer Beitrag der „Integralen Spiritualität“ von Wilber, eine „theoretische Erleuchtung“. Das Göttliche erscheint als ES (die Schöpfung), als DU (im Dialog) und als ICH (ICH BIN).
  • Nicht zuletzt hat die „Integrale Spiritualität“ auch eine spezielle, integrale Lebenspraxis, die weit mehr ist als Meditation, Kontemplation und Gebet.
    Ich sehe darin die ganze Stärke der integralen Spiritualität von Wilber, die alles in der großen AQAL-Matrix („alle Quadranten, alle Ebenen, alle Linien, alle Zustände, alles Typen“) integriert.

Mein Fazit: Es gibt Bücher, an denen kein Weg mehr vorbei führt. Es repräsentiert sicher die höchste Form unseres Bewusstseins über eine alles umschließende Spiritualität.

Für mein Verständnis kommt DIE SEELE zu kurz, ein sicher zentraler Begriff der Spiritualität. (Mir scheint, Wilber identifiziert die Seele mit dem Subtilen.)  Die Klärung von GEIST (Spirit) und SEELE als unterschiedliche Aspekte des Göttlichen hätte ich mir gewünscht. Das Buch ist großartig, aber sicher noch nicht das letzte Wort.

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