Pierre Rabhi: Manifest für Mensch und Erde

Untertitel: Für einen Aufstand des Gewissens

Pierre Rabhi (geboren 1938) ist ein in Frankreich bekannter „Öko-Agrar-Rebell“, Begründer der ökologischen Landwirtschaft in Frankreich. Er kam als Emigrant („Flüchtling“) mit dem Algerienkrieg 1954 aus der algerischen Wüste nach Paris, um später im Süden Frankreichs als Landwirt eine ökologische Landwirtschaft zu erproben und bekannt zu machen. Er „exportiert“ sein Landwirtschafts-Modell „Oasen an allen Orten“ an die armen Bauern in der „Dritten Welt“. 2007 gründete er die „Bewegung für die Erde und den Humanismus“ (mit einem Kolibri als Symbol).

Mich hat es schon überrascht, dass das Vorwort zu diesem Manifest vom ehem. Umweltminister Frankreichs, Nicolas Hulot, formuliert wurde (hier in Deutschland sicher undenkbar). Er schreibt:

„Es kommt auf jeden Einzelnen an. Ohne die Werte der Nüchternheit und des Maßhaltens, ohne Verantwortungsbewusstsein, ohne eine Revolution des Geistes; kurz: ohne die innere Verwandlung des Einzelnen wird die Verwandlung der Welt scheitern. …
Ich glaube wie Pierre, dass der „Aufstand“ des individuellen Gewissens gegen alles, was dem Leben fremd ist und die Lebenswelt zerstört, eine notwendige Bedingung dafür ist, dass die Menschheit dem Schlimmsten entgeht und gleichzeitig die Grundlagen für eine neue Zeit mit einem besseren Leben legt.“ (S. 7)

Die Erde krankt an der Menschheit

Der Planet gehört uns nicht, wir gehören ihm. Wir vergehen, er bleibt. (S. 13)

Der außer Rand und Band geratene Mensch („immer mehr!“) wird die Erde niemals zerstören können. Er zerstört nur sich selbst, doch reißt er viele Arten mit sich, zerstört selbstsüchtig die Natur mit seiner EGO-Kultur. Die Geisteskrankheit, Ignoranz und Zynismus des Menschen bestehlt darin, die Erde nicht als Nährerin allen Lebens, als „Große Mutter“ zu versteht, sondern als „Lagerstätten von Ressourcen“ (S. 43), die er hemmungslos ausbeuten darf. Dazu gibt er sich selbst das Recht! Diese Entfremdung von Mutter Erde, von der Natur, der Schöpfung ist es, das den Menschen in den Wahnsinn der Selbstzerstörung treibt.

Denn die Erde, das Wasser, die tierische und pflanzliche Vielfalt sind keine Ressourcenstätten, sondern stellen ein Gemeingut dar, welches das Leben und Überleben von uns allen garantiert. Dringend muss dieses Gemeingut von jeglicher Finanzspekulation befreit werden, die es verschleudert und den Geldverdienen überlässt. (S. 42)

Pierre bringt vieles auch sprachlich schön auf den Punkt, als Beispiel: Was für uns früher noch eine „Speise“ war (wie sprachen gar von „Götterspeise“), ist inzwischen schon zum „Fraß“ geworden (ein zutreffendes Wort!): Müll, den wir uns tagtäglich „einverleiben“ und so unseren Leib vermüllen (wie außen, so innen).

Die Erde erblüht am Menschen 

Die Frage ist, warum die Erde dieses „missratene Geschöpf Mensch“ nicht einfach beseitigt, den KREBS MENSCHHEIT einfach operativ rausschneidet. Eine solche „Rache Gaias“ (James Lovelock) würde doch viele ihrer Kreaturen vor diesem Monster Menschheit retten.

Doch Mutter Erde, GAIA, ist eine liebende Mutter, sie ist keine Rachegöttin. Ihre ganze Hoffnung auch auf ihre eigene Bewusstwerdung lag in den Menschen, der Krone aller ihrer Kreaturen. Sollte sie es vernichten, dann wäre es ihr eigen „Fleisch und Blut“. Eine liebende Mutter würde dies nie übers Herz bringen, ist ihr Kind auch noch so im Wahn der Omnipotenz. Sie gibt uns immer und immer wieder die Chance der Besinnung. Und Pierrs Manifest ist eine solche eindringliche Besinnung.

Die Menschheit muss zum wahren Humanismus wiederfinden, ein Humanismus, der im Punkt OMEGA (Teilhard de Chardin) auf den Menschen als „Gottmenschen“ (wie Buddha, Jesus, Mohamed und andere) ausgerichtet ist. Das ist auch der Plan von Mutter Erde. Dieser wahre Humanismus ist ein Teil ihrer Seele als Erdenmutter. Ihre Seele kann uns nicht aufgeben; es wäre ein Stück Selbstaufgabe! 

Das ist eine der Kernbotschaften von Pierre: Ein wahrer Humanismus entfremdet uns nicht, sondern verbindet uns immer mehr mit Mutter Erde, weil wir so unserer Berufung „wahrer Mensch zu werden“ in ihrem Sinne gerecht werden.

Das ist die immer wiederkehrende Botschaft: Es liegt in jedem einzelnen, es liegt in DEINER Verantwortung, „wahrer Mensch“ zu werden. Nichts anderes ist DEINE Lebensaufgabe.

„Die Sinfonie der Erde“

Das Buch von Pierre wiederholt sicher viele Anklagen an die Menschheit (Genügsamkeit statt „immer mehr!“ usw.), doch es ist wichtig, dass wir uns auch nicht in Selbstanklagen weiter zustören. Was mir an diesem Manifest am meisten ans Herz geht: Pierre hat sich als Mensch mit Mutter Erde längst „versöhnt“. Sein „Aufstand des Gewissens“ kommt nicht aus Selbstanklage, sondern aus Liebe: Liebe zur Erde, zur Natur, zur Schöpfung. Sein Gewissen erwacht aus einer tiefen Verzauberung an der Schönheit und Harmonie der Schöpfung.

Ehe die Welt verändert wird – muss sie nicht vielmehr wiederverzaubert werden? Sollten wir sie nicht vielmehr lieben und bewundern, um so die Energie zu finden, uns um sie zu kümmern? Es ist diese tiefe Liebe zu dem, was ich die „Sinfonie der Erde“ nenne, die mich unabhängig von alarmierenden Befunden über gegenwärtige und zukünftige Katastrophen dazu veranlasst, an der Umsetzung von Lösungen zu arbeiten. (S. 57)

Das Buch gehört im Grunde zur Pflichtlektüre der höheren Klassen unserer Schulen, denn unsere Jugend kann nichts Wichtigeres lernen als das, wozu das Manifest aufruft. Sie sind die letzten Zerstörer der Menschheit oder die ersten Erbauer einer neuen Menschheit im Einklang mit der Erde. Und es IST leider so dramatisch, wie es kling.

Es ist gar nicht einmal so schlimm, dass dies wahrscheinlich reine Illusion ist (ich hoffe, es ist in Frankreich anders!). Schlimmer noch ist, dass man es sich nicht einmal „vorstellen“ kann, dass unser Bildungssystem solche gesellschaftlichen Impulse aufnimmt und sich verantwortlich für die Zukunft der Menschheit fühlt. Das „Humankapital“ hat unsere Pädagogik, unsere Bildungseinrichtungen, unsere Kinder und Jugend längst im Griff des seelenlosen Mythos „immer mehr!“. Und wenn eine Gesellschaft ihre Seele verloren hat, dann ist sie verloren. Doch im Sinne des Manifestes: Die Seele der Erdmutter und unsere Seele mögen wieder EINS werden!

 

Pierre Rabhi: Manifest für Mensch und Erde: Für einen Aufstand der Gewissen (Klick)

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