Pierre Teilhard de Chardin: Sinn und Ziel der Evolution

Untertitel: Ausgewählte Texte, bearbeitet und herausgegeben von Peter Gotthard Bieri

Das Buch von Peter Gotthard Bieri ist ein ganz besonderes in der Bibliothek von und über Teilhard de Chardin. Der Herausgeber hat den  5. Band „Die Zukunft des Menschen“ von Teilhards Werken beim Verlag Walter neu redigiert und auch neu übersetzt, um die Essenz der Kosmogenese von Teilhard de Chardin herauszuarbeiten. Von den 23 Artikeln des Sammelbandes wurden sieben ausgesondert (zu Themen wie Atombombe, Frieden, Menschenrechte, Demokratie) und auch die anderen 16 Artikel auf das Wesentliche gekürzt. Der Herausgeber schreibt dazu selbst: „Meine Arbeiten kann man mit dem Zurückscheiden eines Rosenstocks vergleichen; seine 23 Haupttriebe habe ich auf 16 reduziert, diese noch stark gestutzt und viele Seitentriebe entfernt – alles nach bestem Wissen und Gewissen und in der Hoffnung, dass der Busch, der im tiefsten Grund wurzelt und dessen Zweige bis in höchste Höhen reicht, neu erblühen möge!“ (S.8)

In meinen Augen ist das Projekt mehr als gelungen! Nach dem Lesen dieses Buches hatte ich den Eindruck, den GEIST von Teilhards Evolutionstheorie und Kosmogenese erst richtig zu verstehen.

Der Autor weist im Anhang (S. 185f.) in sieben Punkten auf die Schwierigkeit der Sprache Teilhards hin, nicht nur im Deutschen, sondern auch im Französischen. „1. Teilhard pflegt einen intuitiven und doch intellektuellen Stil. Außerdem sind naturwissenschaftliche, philosophische, poetische und theologische Aussagen ineinander verwoben.“ (S. 185) Viele Begriffe sind von ihm neu erschaffen. Dann verwendet Teilhard manche Begriffe über die Zeit selbst unterschiedlich. Manche Textstellen sind in der Bedeutung wirklich „dunkel“ (okkult, als bewusste Verschlei­erung gegenüber der klerikalen Zensur). Die Übersetzung ins Deutsche bringt weitere Schwierigkeiten. Da die offizielle Werk­ausgabe von Theologen übersetzt wurde, wird die theologische Sprache im Deutschen noch verstärkt. Es hat sich allgemein durchgesetzt, vom „Kosmischen Christus“ zu sprechen. In der Werkausgabe heißt es noch „Christus Universalis“. Der Autor hat sogar noch im Anhang eine vergleichende Liste zentraler Begriffe aufgeführt: a) die offizielle deutsche Übersetzung, b) die französische Urfassung, c) die in dem Buch verwendeten Bezeichnungen (S. 189 – 192). So übersetzt Peter G. Biere den Begriff der Noosphäre beispielsweise auch mit dem sehr modernen Begriff des Bewusstseinsfeldes.

Der Super-Organismus MENSCHHEIT

Für die Evolutionsbiologie scheint die Evolution des Menschen als zoologisches Phänomen längst beendet zu sein. Teilhard sieht aber über die körperliche Evolution auch die seelischen und geistigen Entwicklung des Menschen, die ganz und gar nicht zum Stillstand gekommen ist.

Das Wesen, das aufgerufen ist, den endgültigen Akt zu setzen, in den die totale Kraft der irdischen Evolution eingehen und in dem sie zur Blüte gelangen wird, muss eine vereinte Menschheit sein, in der sich das volle Bewusstsein jedes Individuums mit dem Bewusstsein aller anderen Menschen verbindet. Das ‚opus humanum‘ ist etwas ganz anderes als ein Akt höherer Sittlichkeit; es ist ein lebendiger Organismus. (S. 18)

Dieser lebende Organismus MENSCHHEIT ist der mystische Leib Christi:

Die Zeit naht, da viele Menschen ihre Kraft und ihren Frieden in der gesicherten Aussicht suchen werden, dass alle Bemühungen der Welt dazu dienen, den Leib Christi zu vollenden, dessen Liebe alles beseelt und neu erschafft. Denn von der Tiefe der Materie bis zu den Gipfeln des Geistes gibt es nur eine Evolution. Das ist der neue Glaube an Jesus Christus, das Zentrum der Schöpfung. (S. 19)

Diese Vision des Kosmischen Christus geht weit über die Lehren des Christentums hinaus. Und Teilhard de Chardin erwartete einen neuen Glauben, ein neues Christentum.

Die Entwicklung dieses Super-Organismus MENSCHHEIT vollzieht sich nach den Gesetzen der Evolution über Gemeinschaftsbildung zu Glaubensgemeinschaften. Wenn dieser Super-Organismus der „Leib Christi“ ist dann vollzieht sich diese „Christogegese“ in der Form christlicher Glaubens-Gemeinschaften.

So erweist sich die Gemeinschaftsbildung der Erde als Werkzeug der vollständigen Menschwerdung. Da das Einswerden sich unter dem Einfluss des Geistes der Evolution verinnerlicht, kann es physisch nur eine Wirkung haben: nämlich uns immer mehr zu personalisieren – und sogar (durch das Erreichen eines höchsten Zentrums universeller Konvergenz) zu ‚vergöttlichen‘. (S. 64 f.)

Eine ganz andere Einführung in das Werk Teilhard de Chardins

Das Anliegen des Herausgebers Peter Gotthard Bieri war es, die Übersetzung so zu „paraphrasieren“, dass Teilhard für ein breiteres Publikum verständlich wird, ohne dass das Verstehen abflacht – im Gegenteil: Es geht nicht um Buchstaben-Exegese, sondern um eien neuen Zugang zum GEIST von Teilhard de Chardin. Das ist in meinen Augen dem Herausgeber (und Neuübersetzer) wirklich gelungen. Im Grunde wäre es nach diesem Beispiel sinnvoll, auch andere Werkausgaben Teilhards neu zu redigieren, neu zu übersetzen und an den aktuellen Zeitgeist anzupassen. Es wäre zu wünschen, wenn dieses Buch zu einer neuen Welle der Rezeption und Diskussion um Teilhard de Chardin führen würde, wie der Autor sagt: „… in der Hoffnung, dass der Busch, der im tiefsten Grund wurzelt und dessen Zweige bis in höchste Höhen reicht, neu erblühen möge!“  Teilhard ist vor allem mit seiner positiven Vision der Entwicklung der Menschheit im Kosmos aktueller denn je.



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