Thomas Schmid: Europa ist tot, es lebe Europa!

Untertitel: Eine Weltmacht muss sich neu erfinden

 

Ich fühle mich schon lange mehr als Europäer denn als Deutscher, lebe mehr in Südfrankreich als in Deutschland. Deshalb hat mich das Buch vom Titel her sehr angesprochen. [Aktuell finde ich die neue Europa-Initiative des französischen Präsidenten Macron gut – und die Zustimmung der neuen Deutschen Regierung, Europa eine höhere Priorität einzuordnen, auch dringlich. Ich hätte mir – ehrlich gesagt und ohne SPD-ler zu sein – Martin Schulz deswegen in der neuen Regierung gewünscht, sogar als „Europa-Außenminister“.]

Natürlich haben mich auch die aktuellen Ereignisse in Europa „betroffen“ gemacht: die Krise um Griechenland, Brexit, Flüchtlingskrise, die Haltung der osteuropäischen EU-Länder, die (anti-europäische) Großmachtpolitik Putins und Trumps. Europa kann auf all das mal wieder nur re-agieren. Europa ist eine Weltmacht, verhält sich aber nicht so.

Das Buch ist sehr kenntnis- und geistreich geschrieben, doch es hinterlässt bei mir ein gemischtes Gefühl. Ich habe viele Zusammenhänge besser verstanden, verstehe sogar die Briten und Osteuropäer besser, den Interessenskonflikt zwischen Frankreich und Deutschland. – Ich weiß aber nicht einmal, ob ich das Buch richtig verstanden habe. Denn Titel und Untertitel passen für mein Verständnis gar nicht recht zum Buchinhalt. Der Titel hat etwas Aufrüttelndes, der Inhalt nicht, ist eher seelenlos „durchrationalisiert“.

Der Autor schreibt doch selbst:

Die Europäische Union täte gut daran, in dieser Spur zu bleiben (Hervorhebung JS): Teilung der Macht, verschiedene Gravitationszentren und Gemeinschaftshandeln nur dort, wo es … zwingend geboten oder … eindeutig von Vorteil ist. (S. 223)

Das waren die Stärken Europas (sie werden gut herausgestellt). Wieso ist das tot und warum muss sich Europa neu erfinden? An anderer Stelle (S. 206) schreibt der Autor selbst, wie problematisch es ist, etwas „neu erfinden zu wollen“. Kapiere ich einfach nicht.

Ich fühle mich als Leser zwar gut informiert – Zusammenhänge sind klarer geworden. Doch ich fühle mich von dem Buch gar nicht wirklich als europäischer Bürger angesprochen, der Intellekt mit Mühe noch, in der Seele überhaupt nicht. Das Buch ist mir eher ein „Sekten-Buch für Intellektuelle“ (um den Sektenbegriff des Autors S. 111 zu verwenden). Es scheint mir eher ein Buch für das Selbstverständnis einer Medien- und Politelite zu sein. Ich gehöre nicht dazu. Das Buch geht über meinen Kopf. TROTZDEM: ein aufklärerisches Buch über Europa, das notwendig ist und gut tut, weil Europa in der Öffentlichkeit fast immer noch ein Tabu-Thema ist. Ich bin heilfroh (…), dass ich es gelesen habe.

Thomas Schmid:  Europa ist tot, es lebe Europa!: Eine Weltmacht muss sich neu erfinden

 

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