Tom Amarque: Was wir wurden, wer wir sind …

und was wir werden können.
Eine kleine Geschichte der Bewusstseinsevolution

In seinem Nachwort weist der Autor in aller Bescheidenheit darauf hin, dass das Buch weder einen philosophischen noch wissenschaftlichen Anspruch hat. Die Evolution des menschlichen Bewusstseins ist sicher auf 190 Seiten kaum einzufangen. „Ich gebe mich nicht der Illusion hin, auch nur ansatzweise erfolgreich darin gewesen zu sein“ (S. 199). Er möchte sein Buch als erzählte Geschichte verstanden wissen. Eine schamanische Geschichte am Feuer oder eine Gute-Nacht-Geschichte für Erwachsene. Der Leser möge über den Wert für sich selbst entscheiden. Ich finde diese Geschichte der Bewusstseins-Evolution sehr gelungen und möchte sie gerne weiter empfehlen.

Die kurze, nein „kleine Geschichte“ beginnt nicht bei „Adam und Eva“, sondern da, wo die Wissenschaft sich der Evolution bewusst wird. In meinen Worten: Es war eine Art „Urknall des menschlichen Geistes“: HEGEL und SCHELLING deckten im Historizismus die Evolution des Geistes in der Geschichte der Menschheit auf, LAMARCK und DARWIN erkannten die biologische Evolution, MARX und ENGELS zeigten in der Entwicklung der Klassengesellschaften eine soziale Evolution auf, die erst in Zukunft eine wirklich menschliche Gesellschaft hervorbringen würde.

Wir im Kosmos – Die Entstehung des modernen Bewusstseins

Was für eine großartiges neues Weltbild entfaltete sich da – und mit ihr die „erste Aufklärung“. Der alte Mythos der Prämoderne von der zyklischen, ewigen Wiederkehr wird durchbrochen. Kosmische, biologische, kulturelle und soziale Evolution bekommen einen Zeitpfeil: Es gibt eine Entwicklung vom Niedrigen zum Höheren.

Je besser wir die Evolution verstehen, um so besser können wir mit ihr „mitgehen“ oder – um ein populäres Bild zu gebrauchen – „auf der Welle der Evolution surfen“ und die Kräfte, die unsere Existenz ohnehin gestalten, zu unserem Nutzen einsetzen. (S. 18)

Alles ist noch auf das Außen gerichtet, auf den Kosmos und Mikrokosmos, wie der sich den Teleskopen und Mikroskopen zeigt. Doch brüchig wird dieses Weltbild da, wo es sich immer mehr in seinen Pathologien zeigt. Doch dieses rationale, männlich orientierte Weltbild wird auch in Zukunft noch wichtig sein:

Sollten wir jemals die ökologischen Probleme der heutigen Zeit in den Griff bekommen, dann werden es moderne Bewusstseinsstrukturen sein, die dies bewerkstelligen. Weder traditionelle noch postmoderne Bewusstseinsstrukturen beabsichtigen dies, noch sind sie dazu in der Lage. (S. 63)

Das „moderne Selbst“, das Zusammenwirken von Denken, Fühlen und Handeln dieser Weltsicht, tendiert dazu, in der ES-Sprache zu sprechen. Alles IST, wie es erscheint. Wie ich etwas wahrnehme ist 1:1 so, wie „es ist“.

In dieser Welt ist auch der egoistische Wille zu Hause.  „Der moderne Wille zeigt auf die externe Welt und auf die persönliche Kraft, Ziele zu erreichen.“ (S. 71) In der Leiustungswelt von Gewinnern und Verlierern macht der „starke Wille“ zum Gewinner. In dieser modernen Welt steht das DENKEN und die VERNUNFT im Mittelpunkt: „Ich denke, also bin ich.“

Der Kosmos in uns – Die Entstehung des postmodernen Bewusstseins.

Die scheinbar „absoluten Wahrheiten“ der modernen Weltsicht mussten nach Einstein oder den Quantenphysikern „relativiert“ werden. „Alles ist relativ“ wurde zum Slogan der Post-Moderne. Auch die Wahrnehmung ist nicht objektiv, sondern „kostruiert“. Wir sehen die Welt nicht wie sie IST, sondern wie sie uns ERSCHEINT. Wir drücken uns in der Sprache relativer aus. „Mir scheint dies so und so …“

Mit der Psychoanalyse Freuds oder auch Jungs beginnt die „zweite Aufklärung“, die Aufklärung unserer Subjektivität und Innerlichkeit. Aus der Ego-Kultur wird eine WIR-Kultur, das Weibliche erobert sich Terrain vom Männlichen zurück. Mansche sehen in der Postmoderne schon das Zeitalter der Frau. Während in der Moderne der Mythos EROS als Gott stehen kann, ist es für die Postmoderne der Mythos von PSYCHE (das griechische Wort für Seele).

Der Feminismus ist mehr als alles andere das Symbol und das Kernthema der Postmoderne, und dies vor allem auch deshalb, weil es darum geht, das Weibliche gesellschaftlich zurückzuerobern und zu integrieren. (S. 106)

Kennzeichnend für die Postmoderne ist auch das „neu erwachte Interesse an der Spiritualität“ (S. 113 ff). Das postmoderne Selbst interessiert sich für Spiritualität oder Entwicklungspsychologie. Doch in dieser mehr weiblichen Spiritualität des Loslassens, Geschenenlassens, des Nicht-Tun, des SEIN liegt auch „das grüne Dilemma“ (S. 129):

Es ist die Unfähigkeit, aufgrund von sozialen Konventionen und der Ablehnung von Hierarchien Entscheidungen zu treffen, die das eigene psychische Wachstum betreffen. Der soziale Dialog kann nicht in handlungsrelevante Entscheidungen im Hinblick auf die Evolution der Psyche überführt werden.

Mit der Hinwendung auf seine Innerlichkeit wird dem postmodernen Selbst seine Neurosen und Störungen bewusst. Es beginnt, an sich zu arbeiten, „Schattenarbeit“ zu leisten. War die Domäne des modernen Menschen das DENKEN, so ist das GEFÜHL die Domäne des postmodernen Menschen. Das Wohlgefühl auf dem Weg wird selbst zum Ziel.

Das postmoderne Selbst beginnt, diesen Kontakt zum inneren Daimon (Seelenführer – JS), zu dieser starken Quelle von Inspiration, Kreativität und Glück herzustellen, denn es hat erkannt, dass in ihm das eigentliche transformative Potenzial liegt. (S. 142)

Der evolutionäre Zugewinn gegenüber dem modernen Bewusstsein liegt darin, dass das postmoderne Bewusstsein bestrebt ist, all das zu erreichen, wonvon auch das moderne Bewusstseins träumt, aber ohne seelischen Schaden davonzutragen. (S. 144)

Wille und Welt – Die Entstehung des evolutionären Bewusstseins

Diese „post-post-moderne“ Bewusstseinsstruktur nennt der Autor – zwar wie andere Autoren – „integral“, doch das Entscheidende das andere Bewusstsein, sondern die andere dominierende Domaine im Selbst. War es im modernen Menschen der Verstand, im postmodernen Menschen die Gefühle, so ist es im post-postmodernen Menschen der WILLE. Das „evolutionäre Selbst“ greift bewusst und willentlich in die Evolution auf allen Ebenen ein.

Dieses tiefe Verständnis des Wesens der psychischen Evolution, die über die Anwendung der materiellen und sozialen Evolution hinausgeht, nenne ich die dritte Aufklärung. (S. 154)

Mythologisch übernimmt die Tochter von EROS und PSYCHE das Sagen: VOLUPTAS.

Bleiben wir aber bei der römischen Form, Voluptas, so wird noch ein anderer Aspekt dieser Gottheit deutlich, und das ist der freudige Wille. (S. 157)

Vielmehr, als alle vorherigen Stufen zu integrieren, strebt das evolutionäre Bewusstsein aktiv der nächsten Entwicklungsstufe seiner selbst zu. Genau das macht es zum evolutionären Bewusstsein. (S. 160)

Frei von allen Ängsten, Aggressionen und Depressionen begreifen wir dann den Wesensgrund unserer Existenz, nämlich Freude, und können uns damit endlich vom kultureell-fundamentalistischen Buddha-Trauma befreien, nämlich dem Glauben, dass alles Leid ist. Existenz ist reine Freude, Existenz ist Wollen-Können, und dieses Wollen ist immer mehr evolutionär ausgerichtet. Dieser lebensfreudige Wille bejaht die Evolution in jeder Facette des Seins und kann sozial alle Menschen in ihrem eigenen Fortschritt unterstützen, wie er für sich selbst stets höhere Stufen der Selbstentwicklung anstrebt. Genau dies ist das Kennzeichen der evolutionären Bewusstseinsstufe. (S. 169)

Noch einen schönen Satz zum Pendant des Willens, nämlich der Liebe:

Wenn es auch der evolutionäre Wille ist, der die Liebe lenkt, so ist es doch die Liebe, die transzendiert. (S. 178)

Und als Schlussatz: „Kosmos, Psyche und Evolution. Dies ist die Dreifaltigkeit der Existenz, wie wir sie derzeit begreifen können.“ (S. 197) Und weiter: „Wir sind erst in der Halbzeit der Evolution. Und wir alle blicken voller Spannung in die Zukunft.“

Mein Fazit: Der Wert des Buches liegt in seiner Kürze, im Verschaffen eines Überblicks als Orientierungshilfe für den großen roten Faden der Evolution unseres menschlichen Bewusstseins und wie dieses Bewusstsein unsere Realität von der Prämoderne (im archaischen Bewusstsein), der Moderne (dem männlich- wissenschaftlich orientierten Bewusstsein), der Postmoderne (dem weiblich orientierten Bewusstsein der Innerlichkeit) und dem evolutionären Bewusstsein der Zukunft, in dem die Menschheit bewusst über ihren evolutionären Willen zum „Agenten der Evolution“ wird. Es kann keine bessere Vision für die Zukunft der Menschheit geben, als die Evolution schöpfungsgerecht – sagen wir „im Einklang mit Gottes Wille“ – fortzusetzen. Hier ist die Roadmap, die wir immer mehr verfeinern können und müssen.

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